In der Kunsttherapie wird mit Techniken der bildenden Kunst gearbeitet, um einen ehrlichen, direkten und bedeutungsvollen Ausdruck für die eigene Gefühlswelt zu erhalten. Über künstlerische und kreative Handlungen können bewusste und unbewusste Selbstanteile sichtbar und erfahrbar werden. Hier werden Impulse gesetzt, um konfliktbeladene und noch nicht bewältigte Erfahrungen zu integrieren. Die Kunsttherapie ebnet so einen Weg hin zu mehr Sensibilität und Intensität einer eigenen feinen Wahrnehmungsfähigkeit. Erst diese ermöglicht eine tiefe und sichere Verbindung zu uns Selbst, zu unserem Kern.
Es geht nicht darum ästhetische Bilder oder schöne Produkte zu erzeugen. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, innere Vorstellungen und Gefühle bildhaft darzustellen, nicht nur jene, die künstlerisch begabt sind.
Die Kunsttherapie besitzt die Möglichkeit, unserer inneren Erlebenswelt, Form, Farbe und Raum zu geben.
Alles liegt in unseren Händen
Unsere Hände besitzen die Fähigkeit der Entfaltung. Sie ermöglichen einen Erfahrungsraum der Berührung und des Berührtwerdens.
Beginnen wir mit unseren Händen kreativ zu gestalten, uns kreativ zu entfalten, beginnt sich alles in uns zu bewegen. Wir formen, bilden und gestalten uns fließend in alle Richtungen aus. Unser kreatives Werk ist Ausdruck unserer Essenz, unseres Kerns. Es ist Verdichtung und Verbindung zwischen unseren vielschichtigen bewussten und unbewussten Anteilen. So bewegen wir uns in unserem kreativen Handeln hin zu einer ehrlichen und selbstbestimmten Lebendigkeit und Lebensart.
Um zu begreifen, wer wir sind, kann die Kunsttherapie ein Weg von tiefer Selbsterkenntnis sein. Die Kunsttherapie kann einen Anker darstellen, eigene Stärken zu erkennen, Regression zu zulassen und Selbstwahrnehmung zu verfeinern. Die Förderung des spontanen unmittelbaren und wertfreien Ausdrucks steht dabei im Mittelpunkt.
Wir brauchen die Erlaubnis zu Spielen (FLOW-Erleben)
In der Kunsttherapie erhalten wir die Erlaubnis kreativ und schöpferisch zu sein. Sie bietet die Erlaubnis sich ungezwungen auszudrücken, ohne Gefahr zu laufen, bewertet oder dafür verurteilt zu werden. Spielerische Impulse können entfaltet werden. Dieser kreative Ausdruck knüpft an die Aktivitäten der frühen Kindheit an, als diese lustbetont und ungehindert erlebt werden durften. Sie knüpft an vorsprachliche Erfahrungsmomente an, in denen die eigene Welt neugierig und lustvoll spielerisch entdeckt werden durfte. Erlauben wir uns einen solchen befreienden Zugang zu unseren kreativen Fähigkeiten, überwinden wir Ängste und Hemmungen, so erhalten wir Zugang zu unbewussten oder verschütteten Selbstaspekten, die unsere Reifungsschritte ebnen. In einem tragfähigen und geschützten Rahmen kann die Sicherheit entstehen, die es erleichtert, den eigenen Impulsen zu folgen, neue Ausdrucksformen auszuprobieren und auch Themen zu berühren, die schwierig für uns sind.
Wir hinterlassen Spuren
Jeder kreative Prozess ist von Momenten der Einsicht, Reifung, Akzeptanz und Verwerfung geprägt. Er umfasst ein sich wiederholendes Prinzip von Erkennen – Festhalten – Loslassen. So ist jeder kreative Ausdruck eine Spur, ein Spiegel und eine Nuance der Lebenskreisläufe auf dieser Welt. Der künstlerische Ausdruck ist ein essenzieller Ausdruck unserer Lebensenergie und unserer Lebenskräfte. Die Art und Weise unseres kreativen Ausdrucks kann als Sinnbild zu unserer Beziehung zu uns selbst gesehen werden. Die Bedeutung von Loslassen und Vergehen, von Erschaffen und Erneuern, wird direkt erfahrbar. Wir können uns dabei in unserer komplexen Gesamtheit erfahren.
Grenzerfahrungen
Die Kunsttherapie ist eine Möglichkeit der Grenzerfahrung. Denn nur, wenn ich mich selbst spüre, kann ich mich abgrenzen. Das ich wird zum ICH durch das DU. Wir brauchen ein Gegenüber, zwischenmenschliche Resonanz und Spiegel, um selbst die eigene Bedeutung von Nähe und Distanz zu spüren, um die eigene Qualität im Erleben zu erweitern. Sich abgrenzen zu können, bedeutet Ich-Stärken zu stabilisieren und gleichzeitig durchlässig werden für Berührung in einer ehrlichen Begegnung mit uns selbst und unserem Gegenüber.
Die Sprache der Bilder
Der spontane kreative Ausdruck birgt ein großes Potential in sich. Er kann an vorsprachliche und unbewusste Erfahrungen und die damit verbundenen Körperempfindungen und Gefühle anknüpfen. In ihrer kreativen Ausdruckmöglichkeit wendet sich die Kunsttherapie an tiefere Bewusstseinsschichten. Kreative Handlungen erschließen uns die Weisheit unseres Unbewussten und führen uns zu Einsichten, die eine Veränderung im Denken und im Lebenswandel ermöglichen, hin zu einer starken Selbstfürsorge und einem tiefen Selbstvertrauen.
Beim Gestalten steigen Bilder, Erinnerungen und Assoziationen aus dem Unbewussten in das Bewusstsein. Die Kunsttherapie formt einen Ort, einen Rahmen, einen Austausch und eine Verdichtung dieser Selbstanteile. Unbewusste Anteile, unklare oder verschwommen wahrgenommene Empfindungen werden durch das kreative Handeln deutlicher und zu einem greifbaren Gegenüber. Unbewusste Anteile werden eindeutiger und so für eine konkrete Auseinandersetzung verwendbar. Dialog und Identifizierung mit den eigenen unbekannten Anteilen können entstehen. Für Akzeptanz, Selbsterkenntnis, ein tieferes Selbstverständnis und so auch mehr Selbstvertrauen.
In unbewussten Ebenen entdecken wir eine Bildersprache, die in Symbolen und Metaphern ihren Ausdruck finden. Das ist die Sprache des Unbewussten. Imaginationsübungen sind dabei ein Fenster zu den Bildern des Unbewussten. Unbewusste Anteile werden dadurch gezeigt und sinnzusammenhängend, mit Bedeutung gefüllt und geordnet. Denn nicht nur unser rationales Verständnis kann Sinnzusammenhänge ordnen. Die Erfahrung bestimmter Sinnzusammenhänge des Lebens über tiefere Bewusstseinsebenen bietet tiefere und ganzheitliche Selbsterfahrung. Das ist eine große Möglichkeit die Grenzen zwischen unbewussten und bewussten Selbstanteilen weicher werden zu lassen, um Reifeschritte gehen zu können.
Wir verbinden uns
Viel stärker als bei gesprächstherapeutischen Methoden, spielt bei der Kunsttherapie die Körperwahrnehmung eine wesentliche Rolle.
Im Einbezug der Körperwahrnehmung werden Gefühle stärker und nuancierter spürbar. Über das kreative Handeln und ein Nachspüren der körperlichen Wahrnehmung können wir uns selbst neu erfahren, verstehen und mitteilen. So bietet die Kunsttherapie die Möglichkeit auf körperlicher und seelischer Ebene neue Lösungswege auszuprobieren, um neue Wege der Bewältigung von Krisen zu erlernen. Sich neu orientieren, bedeutet nicht mehr zu wiederholen, sondern aus Erfahrung zu lernen für einen vertrauensvollen, soliden und offenen Umgang mit sich selbst.
„Die bildhafte Welt, die ich nur schwer in Worte fassen konnte – während ich gleichzeitig einen Reichtum an Wissen sich in mir entfalten fühlte. Gegensätze, die ich vorher nie zusammenbrachte, standen plötzlich als Bild, als Skulptur vor mir.“ (Reinhard Winkler, 1992)